Die Welt des eSports, einst von Enthusiasten und leidenschaftlichen Spielern aufgebaut, sieht sich zunehmend mit externen Einflüssen und ethischen Debatten konfrontiert. Eine aktuelle Äußerung des bekannten deutschen eSport-Kommentators und Content Creators Hand of Blood auf X (ehemals Twitter) hat die Diskussionen neu entfacht. Er erklärte, der eSport sei „kaputt“ und die Saudis würden nun „alles wieder verkaufen“. Eine genauere Betrachtung zeigt jedoch, dass seine Kritik eher eine tiefgreifende Sorge um die Integrität der Branche widerspiegelt, während die Faktenlage eine aggressive und langfristige Investitionsstrategie Saudi-Arabiens belegt.
Hand of Bloods „eSport ist kaputt“: Eine ethische Warnung
Hand of Bloods scharfe Worte sind nicht als Prognose eines finanziellen Kollapses des eSports zu verstehen. Vielmehr artikuliert er eine Besorgnis über den Verlust der ursprünglichen Werte und des gemeinschaftsgetriebenen Geistes der Branche. Er kritisiert, dass der eSport, der durch „dick Überstunden & engagierten Menschen mit Überzeugung“ aufgebaut wurde, nun „vor den Saudis einknicken“ würde. Die Formulierung „Saudis nun alles wieder verkaufen“ ist dabei metaphorisch zu interpretieren: Es geht um einen „Ausverkauf“ der Prinzipien und der Seele des eSports zugunsten finanzieller Vorteile, nicht um eine tatsächliche Veräußerung von Vermögenswerten durch saudische Entitäten.
Diese Kritik wird durch konkrete Beispiele untermauert, etwa die Kürzung der Honorare für Dota-Talente durch ESL, eine Organisation, die sich im Besitz saudischer Investoren befindet. Solche Entwicklungen nähren die Befürchtung, dass der massive Kapitalzufluss aus Saudi-Arabien, dessen Menschenrechtsbilanz international umstritten ist, zu einem „Sportswashing“ oder „Gameswashing“ führt – dem Versuch, das Image eines Landes durch Investitionen in populäre globale Industrien aufzupolieren.
Saudi-Arabiens ehrgeizige Vision 2030: Milliarden für Gaming und eSport
Entgegen der Annahme eines „Ausverkaufs“ verfolgt Saudi-Arabien über seinen Staatsfonds Public Investment Fund (PIF) und dessen Tochtergesellschaft Savvy Games Group eine umfassende und aggressive Expansionsstrategie im globalen Gaming- und eSport-Markt. Die Gründung der Savvy Games Group im Jahr 2021 ist ein zentraler Bestandteil der nationalen „Vision 2030“, die darauf abzielt, die saudische Wirtschaft vom Öl zu diversifizieren, neue Arbeitsplätze zu schaffen und das internationale Ansehen des Königreichs zu verbessern.
Die strategische Bedeutung wird durch die Zusammensetzung des Vorstands der Savvy Games Group deutlich, dem hochrangige saudische Beamte angehören, darunter der Gouverneur des PIF und der Vorsitzende der Saudi Esports Federation. Der eSport-Sektor allein soll bis 2030 voraussichtlich 13,3 Milliarden US-Dollar zum BIP Saudi-Arabiens beitragen und rund 39.000 neue Arbeitsplätze schaffen.
Aggressive Akquisitionen statt Desinvestitionen
Die Savvy Games Group hat in den letzten Jahren bedeutende Akquisitionen getätigt und massive Investitionen angekündigt:
- ESL FACEIT Group: Im Jahr 2022 erwarb Savvy die ESL FACEIT Group in Köln, einen führenden Veranstalter von eSport-Turnieren.
- Scopely: Im Juli 2023 folgte die Übernahme von Scopely, einem Entwickler von Handyspielen aus Kalifornien.
- Minderheitsbeteiligungen: Savvy hält zudem Anteile an einigen der größten Videospiel-Publisher weltweit, darunter Electronic Arts, Take-Two Interactive, Activision Blizzard, Embracer Group und Nintendo.
- Zukünftige Investitionen: Im September 2022 kündigte die Savvy Games Group Pläne an, beeindruckende 37,8 Milliarden US-Dollar in die Videospielindustrie zu investieren, wovon 13,3 Milliarden US-Dollar speziell für den Erwerb und die Expansion prominenter Entwickler und Publisher vorgesehen sind. Aktuell, im März 2025, wurde die Absicht bekannt gegeben, die Gaming-Sparte von Niantic (bekannt für Pokémon Go) für 3,5 Milliarden US-Dollar zu erwerben.
Diese Zahlen und die kontinuierliche Akquisitionsstrategie widersprechen der Vorstellung eines systematischen Verkaufs von Vermögenswerten. Saudi-Arabien investiert zudem massiv in die physische Infrastruktur, wie den Qiddiya City Esports & Gaming District, der als weltweit führender Veranstaltungsort und Heimat des Esports World Cups konzipiert ist. Auch die Ausrichtung großer internationaler eSport-Veranstaltungen wie des Esports World Cups 2025 mit einem Preispool von über 70 Millionen US-Dollar und der ersten Esports-Olympischen Spiele 2027 in Riad unterstreichen das langfristige Engagement.
Geringfügige Anpassungen, kein Rückzug
Tatsächlich gab es nur wenige, isolierte Fälle, die fälschlicherweise als „Verkauf“ interpretiert werden könnten:
- Nintendo-Beteiligung: Im Jahr 2024 reduzierte der saudische Staatsfonds seine Beteiligung an Nintendo geringfügig von 8,58 % auf 7,54 %. Dies ist jedoch eine übliche Portfolioanpassung großer Investmentfonds und Savvy bleibt weiterhin einer der größten Aktionäre von Nintendo.
- Gescheiterter Embracer-Deal: Eine geplante Zusammenarbeit mit der Embracer Group scheiterte im August 2023. Dies war jedoch ein gescheiterter Akquisitionsversuch und kein Verkauf eines bereits bestehenden saudischen Vermögenswerts.
Diese Einzelfälle sind im Kontext des riesigen und wachsenden Investitionsportfolios als normale Vorgänge des Portfoliomanagements zu sehen und deuten keineswegs auf einen strategischen Rückzug oder finanzielle Schwierigkeiten hin.
Wachstumsschmerzen und ethische Dilemmata
Der globale eSport-Markt wird für die kommenden Jahre mit erheblichem Wachstum prognostiziert, mit Schätzungen von 6,61 Milliarden US-Dollar im Jahr 2024 auf bis zu 48,09 Milliarden US-Dollar bis 2034. Dieses schnelle Wachstum, angetrieben durch massive Investitionen, bringt jedoch auch strukturelle Schwächen wie mangelnde Regulierung und Monetarisierungsherausforderungen mit sich.
Hand of Bloods Kritik beleuchtet die ethischen Dilemmata, die entstehen, wenn großes Kapital in einen noch jungen und locker regulierten Markt fließt. Die wahrgenommene „Kaputtheit“ des eSports spiegelt berechtigte Bedenken hinsichtlich der Integrität und der Machtdynamik wider, nicht jedoch einen finanziellen Kollaps. Saudi-Arabien ist auf dem besten Weg, eine zunehmend dominante Kraft in der globalen eSport-Landschaft zu werden. Dieser Einfluss wird die Branche weiterhin prägen und unweigerlich zu anhaltenden Debatten über das Gleichgewicht zwischen Wachstum, Ethik und kulturellen Werten führen.